Providenz, Kirchturmspitze von Süden aus betrachtet und zur Bildergalerie   Providenz, westliche Kirchturmuhr und zur Bildergalerie

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottesdienst am Sonntag Estomihi, 22. Februar 2009

Predigttext:

31Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. 32Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. 33Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.

Von der Nachfolge
34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. 35 Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten. 36 Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? 37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? 38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln. (Markus 8,31-38)

Liebe Gemeinde,

„Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn“ – Während sich die sogenannte 5. Jahreszeit auf ihren Höhepunkt zubewegt, machen wir uns mit dem Sonntag Estomihi schon auf den Weg in die Passionszeit.

„Typisch“ mögen die Einen sagen, die schon immer vermuteten, dass wir Protestanten ziemliche Spaßmuffel sind. „Gott sei Dank“ raunen die Anderen, die den Fasching höchstens als willkommene Zeit für den Skiurlaub ertragen können.

Wie auch immer – mitten in der Faschingszeit mit ihrer Betonung des Fröhlichen, Ausgelassenen, Sorglosen hören wir die erste Ankündigung Jesu seines bevorstehenden Leidens und Todes. Welten prallen aufeinander.

Und genau so wird es auch Petrus erlebt haben. Gerade hatte er erlebt, wie Jesus mit sieben Broten 4000 Menschen gesättigt und kurz darauf einen Blinden geheilt hatte. Voller Freude hatte er erkannt, mit wem er es da zu tun hat. „Du bist der Christus!“ konnte er voller Begeisterung sagen, du bist der, auf dem Gottes Geist liegt, der Messias, auf den wir so lange gewartet haben. Endlich bist du da. Jetzt wird alles gut. Jetzt wird unser Leben, wird unsere Welt gut.

Ja, danach hatten sie sich gesehnt, Petrus, die anderen Jünger, auch Judas. Auch nach den ersten Wundern, deren Zeugen sie geworden waren, hatten sie gezögert. Waren nicht sicher gewesen. Blieben sie vorsichtig.

Doch nun waren alle Zweifel beseitigt: Du bist der Christus.

Und nun sollte alles schon wieder vorbei sein? Noch bevor es richtig angefangen hatte? Was für einen Sinn sollte das machen?

„Wir brauchen dich, Jesus. Lebendig. Du siehst doch, wie viele Menschen auf die Begegnung mit dir hoffen. All die Kranken und Leidenden, die warten auf dich, Jesus. Wir müssen dafür sorgen, dass dich deine Gegner nicht in die Hände bekommen. Lass mich mal machen. Das darf auf keinen Fall geschehen, dass dir etwas passiert.“

Eindringlich hat Petrus auf Jesus eingeredet. Mit  Engelszungen, wie wir so schön sagen. Aber von Jesus bekommt er eine harsche Antwort: Geh weg von mir, Satan! Du willst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.

Wer wollte es Petrus verdenken, dass er menschlich redet?

Wie stark muss für Jesus die Versuchung gewesen sein, dem Willen des Petrus nachzugeben, dass er so heftig reagiert. Sein Leben zu schützen. Dem Leiden und dem furchtbaren Tod aus dem Weg zu gehen. Wir können nur ahnen, wie sehr ihn die Worte des Petrus ins Wanken gebracht haben.

Petrus hat in seiner Angst nicht sehen können, dass Jesus in diesem Moment etwas ganz anderes von ihm und den anderen Jüngern gebraucht und erwartet hat. Nicht Verständnis, das wäre auch zu viel erwartet. Aber das Vertrauen, dass dieser Weg der richtige sein wird. Die Bereitschaft, diesen Weg mitzugehen. Auszuhalten, was unerträglich ist und somit der Liebe Gestalt zu geben.

Wie oft verschweigen Menschen etwas aus Furcht, dass die Anderen die Wahrheit nicht ertragen werden? An wie viel Krankenbetten wird nicht über das Sterben geredet aus Furcht, dass die Liebe dieser Realität nicht stand halten wird? Wie oft meinen wir einander schützen zu müssen und versäumen dabei die Gelegenheit einander zu zeigen, dass unsere Liebe groß genug ist, auch das Unerträgliche mit zu tragen?

Ich erinnere mich mit Scham an das letzte Gespräch mit meiner Mutter von Angesicht zu Angesicht. Es war kurz vor ihrem 65. Geburtstag, den wir natürlich groß feiern wollten. Ich war damals hochschwanger und habe sie nach einer Operation im Krankenhaus besucht, fest davon überzeugt, dass sie wieder gesund wird. Als ich ihr den Brief meiner Schwester aus dem Urlaub vorlas fiel der Satz „Aber bis dahin bist du längst wieder zu Hause.“ „Oder im Grab“ sagte meine Mutter wie beiläufig. „Sag doch so was nicht, Mama“, war alles, was ich damals sagte.

Wenige Tage später bekam sie eine Hirnblutung und starb.

„Die Liebe erträgt alles“ – so haben wir es vorhin in der Lesung aus dem 1. Korintherbrief gehört. Und Paulus kann das so vollmundig schreiben, weil er vor Augen hatte, wie Gottes Liebe in Jesus alles erträgt. Auch seine Jünger, die genauso dusselig waren wie ich damals am Krankenbett meiner Mutter. Er schickt sie nicht weg. Er bleibt weiter mit ihnen zusammen. Und er gibt ihnen immer wieder neu die Chance, ihrer eigenen Liebe zu vertrauen.

Noch zwei Mal kündigt er sein bevorstehendes Leiden an. Beim Passahmal nimmt er die 12 direkt mit ins Geschehen. Im Garten Gethsemane bittet er seine Jünger um ihren Beistand. Am Kreuz vertraut er seine Mutter einem seiner Jünger an.

Diese Zeit, diese Chancen brauchen seine Jünger auch. Immer wieder verschließen sie lieber die Augen vor der Realität. Halten sich die Ohren zu. Rennen weg.

Und Jesus erträgt das. Weil er sie liebt. Nach Pfingsten schaffen es auch diese ängstlichen, furchtsamen Jünger ihrer Liebe zu vertrauen. Wissen jetzt, dass auch ihre Liebe stark ist, das Unerträgliche zu tragen.

Die Liebe erträgt alles. Ein Text, der oft von Brautpaaren gewünscht wird für ihre kirchliche Trauung. Leider scheint dann die eheliche Liebe im Laufe der Jahre dann doch das Gegenteil zu belegen.

Aber hier in unserem Predigttext wird deutlich, was Paulus damit gemeint hat. Die Liebe erträgt alles, damit ist eben nicht ein gebeugtes Dulden gemeint. Auf den ersten Blick scheint es ja so zu sein: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“

Sicherlich gehört diese Aufforderungen zu den Sätzen, die am meisten missverstanden wurden Oder auch bewusst missdeutet. Mit dieser Aufforderung wurde manches Mal geradezu das Leiden verherrlicht. Menschen galten als besonders fromm, wenn sie sich selber geißelten, jede Bequemlichkeit verboten, das Leiden suchten. Als ob Jesus sich darauf gefreut hätte, am Kreuz sterben zu müssen!

Schlimmer aber noch, wenn sich Menschen auf Grund dieses Satzes mit lebenszerstörenden Situationen abfinden. Wenn sie etwas erdulden, was sie krank macht, weil sie meinen, dass das eben nun ihr Kreuz wäre, das sie zu tragen haben.

Wie viele Frauen bleiben bei ihren Männern, die sie über Jahre hinweg demütigen und schlagen? Büßen jedes Selbstwertgefühl ein, geben sich selber die Schuld, meinen, um der Kinder wegen die Ehe aufrecht erhalten zu müssen?

„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?“

Es ist eigentlich ganz einfach. Gott will nicht, dass wir Menschen Schaden nehmen an unserer Seele. Wo wir in Lebensbezügen stehen, die uns die Luft zum Atmen nehmen. Die uns Angst haben lassen vor dem nächsten Tag. Die uns die Fröhlichkeit nehmen. Die uns den Schlaf rauben. Da können wir sicher sein, dass Gott an unserem Leben leidet.

Und dann kann es bedeuten, dass ich mein Leben gründlich ändern muss. Dass ich konsequent nach einem Weg suche, der mich zurückführt in ein Leben, in der meine Seele Raum hat. Nicht Schaden nimmt.

Für Jesus war dies der Weg ans Kreuz. Er wusste, dass seine Seele Schaden nehmen würde, wenn er sich diesem Weg verschließen würde. Darum reagiert er so heftig auf die Worte des Petrus.

Für Hans und Sophie Scholl, die heute vor 66 Jahren hingerichtet wurden, bedeutete dies der Weg in den Widerstand. Weil sie – im Gegensatz zu Anderen – nicht damit hätten leben können, dem Wahnsinn der Nazis tatenlos zu zu sehen.

Für die geschlagene und gedemütigte Frau bedeutet das hoffentlich, einen Neuanfang zu wagen. Den Kontakt zu Menschen zu suchen, die sie dabei unterstützen sich selbst und damit auch ihre Kinder zu schützen.

Die Liebe erträgt alles. Sie duldet alles. Sie hofft alles. Unser Predigttext endet mit dem Ausblick auf das Reich Gottes. Jesus war der Überzeugung, dass es ganz bald in seiner Vollendung Realität sein würde. Wir leben damit, dass wir es immer wieder schon wahrnehmen und entdecken und doch noch Erwartende sind.

Hans und Sophie Scholl haben nicht mehr erlebt, dass Deutschland einen neuen Anfang bekommt. Wir werden manchen Schaden, der unsere Seele schon genommen hat vielleicht nie mehr ganz heilen können.

Leben können wir damit, wenn wir immer wieder erfahren, dass die Liebe niemals aufhört. Dass sie die Größte ist. Dass sie stärker ist als alles, was uns bedroht. Amen.



„Siehe, dein Heil kommt“ – Eine Stimme voller Hoffnung

Predigt über Jesaja 62,6-12 zum 10. Sonntag nach Trinitatis am 20. August 2006 in der Providenz-Kirche in Heidelberg

Liebe Gemeinde!

I.     Der Zehnte Sonntag nach Trinitatis ist in den christlichen Kirchen ein Tag des Anteilnehmens an dem Schicksal Jerusalems, der symbolträchtigen Heiligen Stadt, auch Zion genannt und als Frau personifiziert, der Gott wie in einer Ehe in Liebe zugewandt und treu verbunden ist.

Mehrmals wurde die Stadt Jerusalem in ihrer fast dreitausendjährigen Geschichte zerstört und mit ihr der Tempel, der als Ort der Gegenwart Gottes hoch verehrt war. Die letzte Zerstörung datiert in das Jahr 70 nach Christus, als die Römer die Stadt eroberten – eines der historischen Zeugnisse ist der Titusbogen in Rom. Bis heute ist Jerusalem eine politisch und religiös umstrittene Stadt. Juden und Moslems behaupten ihren Anspruch darauf. Wie blutig sind die Auseinandersetzungen um Stadt und Land bis heute. Unmittelbar nach der völkerverbindenden Fußball-WM begannen erneut die kriegerischen Kämpfe zwischen Israel und dem Libanon. Endlich am vorigen  Montag (14.August) nach fünf Wochen Krieg Waffenstillstand. Gott sei Dank, Dank allen, die um friedliche Lösungen von Konflikten bemüht sind. Wann  wird die Zeit kommen, in der jene Vision des Propheten Jesaja wahr wird, dass die einander feindlichen Völker „ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen“, dass „kein Volk gegen das andere das Schwert erheben wird und sie hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen“ (Jesaja 2,4), dass Jerusalem mit dem Tempel zu einem Ort der friedlichen Begegnung der Völker wird, um gemeinsam auf die Weisungen Gottes zu hören (Jesaja 2,2-3).
Noch ist diese fast dreitausend Jahre alte Vision Jesajas nicht wahr geworden.

II.     Unser Predigttext, der zu den letzten Kapiteln des Jesajabuches gehört, blickt auf die im 6.Jahrhundert vor Christus durch die Babylonier erfolgte Zerstörung Jerusalems zurück. Stadt und Tempel waren wieder notdürftig aufgebaut, und der Tempel konnte etwa 70 Jahre nach seiner Niederbrennung wieder eingeweiht werden. Hoffnungen begannen neu zu keimen, aber da war auch die Angst, ob die Stadt jemals wieder zu ihrer ursprünglichen Lebendigkeit und Schönheit finden wird. Noch war sie verlassen, viele frühere Bewohner kehrten nicht mehr zurück, sie blieben oder starben fern von ihrer Heimat in babylonischer Gefangenschaft. Wird nicht bald wieder ein anderer Feind über die Stadt herfallen? Wir ahnen, wie es den in der Stadt übrig gebliebenen und den aus der Gefangenschaft heimgekehrten Menschen ging. Da mischten sich Hoffen und Bangen, Resignation, Müdigkeit und Verstummen mit Aufbruchsstimmung, neuer Wachheit und Brechen des Schweigens. In diese Situation hinein erging die prophetische Stimme, auf die wir heute als dem Predigttext hören wollen, Jesaja 62,6-12:

6 O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen,

7 laßt ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden!

8 Der HERR hat geschworen bei seiner Rechten und bei seinem starken Arm: Ich will dein Getreide nicht mehr deinen Feinden zu essen geben noch deinen Wein, mit dem du so viel Arbeit hattest, die Fremden trinken lassen,

9 sondern die es einsammeln, sollen's auch essen und den HERRN rühmen, und die ihn einbringen, sollen ihn trinken in den Vorhöfen meines Heiligtums.

10 Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker!

11 Siehe, der HERR läßt es hören bis an die Enden der Erde: Saget der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her!

12 Man wird sie nennen »Heiliges Volk«, »Erlöste des HERRN«, und dich wird man nennen »Gesuchte« und »Nicht mehr verlassene Stadt«.

Eine Stimme voller Hoffnung. Sie setzt auf die Verheißung Gottes, seinen Treueschwur:

GOTT hat geschworen: Die Getreide und Wein ernten, sollen's auch essen.

Die prophetische Stimme beruft sich auf die Zusage, dass Gott selbst die Stadt vor den Feinden schützen wird. Darum die Aufforderung, Gott „keine Ruhe zu lassen, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es zum Lobpreis auf Erden setze“. Von einer heiligen Unruhe sollen sich die Überlebenden der Katastrophe bestimmen lassen, Gott an seine Versprechen erinnern, ihm gleichsam in den Ohren liegen, einfordern und in Erinnerung an sein Versprechen neu den Weg in die Zukunft wagen.

Das neue Leben in der Stadt vorwegnehmend werden sie aufgefordert, durch die Stadttore zu gehen in das Innere der Stadt, auf den Weg zu ihren Häusern und zum Haus Gottes, dem Tempel:

Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker! 

Nicht mehr die Resignation soll die Menschen bestimmen, sondern das Vertrauen, dass Gott hilft, die Wende herbeiführen wird – Saget der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Sie sind nicht mehr die Verlassenen oder „die verlassene Stadt“, nicht mehr diejenigen, nach denen niemand fragt und die niemand sucht, sondern:

Man wird sie nennen »Heiliges Volk«, »Erlöste des HERRN«, und dich wird man nennen »Gesuchte« und »Nicht mehr verlassene Stadt«.

Siehe, dein Heil kommt!“ „Heil“ ist in der biblisch-hebräischen Sprache ein umfassender Begriff, er hat mit „Rettung“ zu tun, mit „Heilwerden und Heilsein“, mit „Ganzwerden und Ganzsein“.

III.     An diesem Sonntag, den wir in unserer Kirche auch „Israelsonntag“ nennen, ist uns besonders aufgegeben, durchzubuchstabieren, was es für unseren christlichen Glauben bedeutet, wenn Jesus im Johannesevangelium sagt: „Das Heil kommt von den Juden“ (Johannes 4,22). Das hebräische Wort für „Heil“ – Jescha´ – klingt auch in dem hebräischen Namen Jesus an – Jeschu´a bedeutet: Gott heilt, hilft, rettet. Wir müssen uns hüten, alles besser zu wissen, dennoch dürfen wir kritisch sein. Die biblische Aussage „Das Heil kommt von den Juden“ hat keine politische, sondern eine religiös-ethische Dimension.

Gottes heilvolles Handeln bleibt nicht auf ein einzelnes Volk beschränkt. Alle Völker sind einbezogen, darauf weist das aufzurichtende Zeichen für die Völker. Gottes Heil soll weithin in alle Welt leuchten.

Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg!

Gott ruft wie sein Volk Israel so auch alle seine Völker auf, den Weg zu ebnen, die Steine wegzuräumen, damit sein Heil zu uns kommen, bei uns, in Stadt und Land, einziehen kann. Das bedeutet, die alten Hindernisse zu beseitigen, die Stolpersteine, Mauern und Barrièren – im eigentlichen Sinn, wo Wege versperrt werden, aber auch im übertragenen Sinn gilt: Räumt weg, was euch die Sicht nimmt, euch in eurem Reden und Handeln einengt, wenn es um das von Gott gewollte Leben für alle Völker geht. Achtet wieder auf die Vision dieses Lebens. Werdet zum „Heiligen Volk“, zu „Erlösten Gottes“, die als Beispiel/Vorbild von den Menschen in aller Welt gesucht werden. Gebt in eurer Stadt und eurem Land ein Beispiel für die Völker, dass es möglich ist, in Frieden zusammenzuleben, wie unterschiedlich unsere Herkunft, Nation, Religion und Kultur sein mag.

Wie damals Wächter über Jerusalems Mauern bestellt waren, die Tag und Nacht über die wieder aufgebaute Stadt wachen sollten, so sind auch wir heute zur steten Wachsamkeit aufgerufen, um Gottes Stimme Gehör zu verschaffen und nicht nachzulassen, darum zu bitten und das Menschenmögliche dafür zu tun, dass wie für Jerusalem die Zeit kommt, in der alle Völker zum Lobpreis Gottes auf Erden werden, und das heißt einander gerecht werden in gegenseitiger Achtung und in einem friedlichen Miteinanderleben.

IV.     Der Predigttext aus dem 62.Kapitel des Jesajabuches ist eine zunächst partikular auf Zion begrenzte Zukunftsansage, ermutigend und voller Hoffnung, dass es von Gott her die ersehnte Rettung für das zerstörte Jerusalem gibt. Diese Stimme der Hoffnung, die aus Gottes Verheißung schöpft, verbindet uns mit der israelitisch-jüdischen Religion und damit auch mit dem Volk Israel, dem wir den größten Teil, nicht weniger als zwei Drittel, unserer Bibel verdanken und damit unsere Lebenswerte, unsere Ethik, die Grundlagen unseres Zusammenlebens. Die traditionelle Bezeichnung „Altes Testament“ wird den so wunderbaren Texten, zu denen auch der heutige Predigttext gehört, nicht gerecht. Sie sind keineswegs veraltet, keineswegs pauschal „alttestamentarisch gesetzlich“ im Gegensatz zum „Evangelium“ des Neuen Testaments zu verstehen. Sie gehörten zur Bibel Jesu, des Juden aus Nazareth. So sind die Juden und die Christen in einem tiefen, bis heute viel zu wenig bedachten Sinn Geschwister.

Mögen wir mit dem Apostel Paulus einstimmen, der staunend über die Wege Gottes mit Israel und den Völkern ausruft (Römer 11,33-36): „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn >>wer hat des Herrn Sinn erkannt oder wer ist sein Ratgeber gewesen?<< Oder >>wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm vergelten müsste?<< Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit!“

(Die Gemeinde singt:) Amen.

Lieder: „All Morgen ist ganz frisch und neu“ (EG 440), „Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen“ (EG 272), „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser“ (EG 278), „Gott liebt diese Welt“ (EG 409), „Bewahre uns, Gott“ (EG 171).

Autor der Predigt:

Heinz Janssen, ehem. Pfarrer an der Providenz-Kirche in Heidelberg Altstadt/City

providenz@aol.com

nach oben


„Wie schwer ist’s, ins Reich Gottes zu kommen“
Predigt über Markus 10,17-27 zum 18.Sonntag nach Trinitatis,
am 25.September 2005, in der Providenz-Kirche zu Heidelberg (Altstadt/City)

Meiner lieben Schwiegermutter Ilse Bunke zum 80.Geburtstag

Liebe Gemeinde!
„Wie schwer ist’s, ins Reich Gottes zu kommen“, mit diesen Worten wendet sich Jesus an seine Jünger.
 
I.     Ich höre darin - gerade auf dem Hintergrund seiner Begegnung mit jenem Menschen, der  nach dem ewigen Leben strebt - keine Abweisung, auch keinen Ausdruck der Überheblichkeit. Jesus scheint mit seinem Ausruf durchblicken zu lassen, dass es auch für ihn nicht leichter sei, ins Reich Gottes zu kommen, als für seine Jünger und alle, die mit ihm auf dem Weg waren, auf dem Weg zum Leben. Wie so oft begegnen wir einem einfühlsamen und mitempfindenden Jesus. Es ist diese seine Einfühlsamkeit, seine „Sympathie“

(wörtlich = Mitleiden), die ihn uns zum Bruder werden lassen.

Jesus teilt mit den Menschen damals wie heute die Schwierigkeit, vor die uns der Weg ins Reich Gottes stellt. Seinem fast ein wenig seufzenden Ausruf, „wie schwer ist’s, ins Reich Gottes zu kommen“, stellt Jesus die Anrede „Liebe Kinder“ voran, eine wörtliche Übersetzung des griechischen Urtextes ergibt nur die Anrede „Kinder“. Wahrscheinlich schwingt bei Jesus die Ebene des Lehrers zu seinen „Schülern“ (dies ist der Sinn der Bezeichnung „Jünger“), seinen „geistigen Kindern“, mit, die er lehrt, welcher Anspruch an uns und welche Ernsthaftigkeit mit dem Reich Gottes verbunden sind.

II.     Die existentielle Frage nach dem Wohin des Lebens, diese anspruchsvolle Frage, die heute wie damals jedem Lebensalltag eine Richtung und manchmal  einen neuen Antrieb gibt, hatte jenen Menschen umgetrieben, von dem die ersten drei Evangelien wissen (Matthäus 19,16-26; Markus 10,17-27; Lukas 18,18-27), der sich an Jesus wandte und ihn fragte: „Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“ (Markus 10,17). Bei Lukas ist es irgendeine höhergestellte Persönlichkeit („ein Oberer“), bei Matthäus ist es ein reicher junger Mann („der reiche Jüngling“, so die Überschrift in der Übersetzung nach Martin Luther), bei Markus ist es irgendein nicht näher beschriebener Mensch, der du und ich sein kann. „Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“ Dem so fragenden Menschen ging es um mehr als um die Befriedigung seiner intellektuellen Interessen. Er fragt Jesus nicht danach, was das ewige Leben bedeutet, sondern was er tun muss, um es zu ererben, um Anteil daran zu bekommen. Es ist die ethische Frage, die ihn zutiefst beschäftigt. Wie sehr ihn diese Frage bedrängte, zeigt sein Kniefall vor Jesus, bei ihm erhofft er sich die Autorität, die ihm Antwort gibt und hilft.

Interessant ist Jesu Reaktion. Zuerst verweist Jesus auf Gott, in Jesu Augen die eigentliche Autorität: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein“ (V.18). Jesus tritt eben nicht als der große Guru auf, der die Vergötterung genießt, sondern wiederum als Menschenbruder, der sich nicht auf eine Stufe mit Gott stellt, sondern an die Seite der Menschen. „Sei Lob und Ehr dem Höchsten Gut“, singt der im Jahre 1640 in Frankfurt/M. geborene Liederdichter, der Rechtsanwalt und Reichsrat Johann Jakob Schütz (EG 326,1). (Hören wir dazu einen Orgelchoral.)

Gott hat den Menschen als Lebensregeln die Zehn Gebote gegeben. Diese greift Jesus jetzt auf. Er ermutigt und bestärkt den Menschen: Du kennst doch die Gebote, du hast eine Basis, einen Grund, auf dem du handeln kannst (V.19). Hier muss jedoch nachdenklich stimmen, dass Jesus nicht alle Gebote nennt, sondern beschränkt sich auf die Gebote der Zweiten Tafel, die mit der Beziehung des Menschen zu seinem Mitmenschen, seinem Nächsten, zu tun haben: „Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen;
du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben;
ehre Vater und Mutter“ (V.19). („Du sollst niemanden berauben“ stellt das 7.Gebot  (Du sollst nicht stehlen“) deutlich in den mitmenschlichen Zusammenhang. Das Gebot, die Eltern zu ehren, erscheint hier betont an den Schluss der Gebotsreihe gestellt zu sein.)

Mit der Beschränkung auf die Zweite Gebotstafel betont Jesus unmissverständlich, dass es ewiges Leben nicht an unserem Mitmenschen, unserem Nächsten, vorbei gibt. Religiös interessierte Menschen mit dem Drang nach persönlicher Erleuchtung und einem höheren Bewusstsein, das sie vielleicht über andere hinaushebt, gab es damals und gibt es heute gewiss viele. Gottes Anspruch an uns hat aber mit diesem Leben, unserer Alltagswirklichkeit, unserem Zusammenleben, zu tun, wie wir unserem Nächsten, unserem Mitmenschen, und damit auch uns selbst, unserer eigentlichen Bestimmung, gerecht werden. Werden wir diesem Anspruch denn wirklich gerecht? Wer kann sagen, den Geboten Gottes in den Herausforderungen des Lebensalltags immer zu entsprechen? Halten uns seine Gebote nicht vielmehr einen Spiegel vor und lassen sie uns den weiten Abstand zwischen Gottes Anspruch und unserer menschlichen Wirklichkeit bedrängend erkennen?

III.     Erstaunlich ist die Erklärung jenes Menschen, nachdem ihn Jesus auf die Gebote Gottes hin angesprochen hatte: „Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf“ (V.20). Ebenso erstaunlich ist, wie Jesus mit dieser Erklärung umgeht. Er stellt sie nicht in Frage, weist den Menschen nicht in die Schranken, „Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb“, heißt es (V.21). Jesu Zuwendung und Liebe gilt dem Menschen, der mit ihm auf die Gebote Gottes achtet, sie befolgt und einhält, dem Menschen, dem die Gebote Gottes nicht Last und niederdrückendes Gesetz sind, sondern Hilfe zum Leben, Orientierung und Inspiration, dem Sinn des Lebens auf der Spur zu bleiben. Die hebräische Bezeichnung für die Gebote Gottes: „Thora“, bedeutet in diesem Sinn „Weisung“, gute, hilfreiche Weisung zum Leben. „Weise mir, Gott, deinen Weg…“, betet die Gemeinde mit Psalm 86,11, und mit Psalm 16,11 „Du tust mir kund den Weg zum Leben…“

Umso überraschender kommen Jesu Worte: „Eines fehlt dir“ (V.21). Versetzen wir uns einen Augenblick in die Situation jenes Menschen und stellen wir uns vor, Jesu Worte meinten uns. Was lösen sie bei uns aus? Wie bei jenem Menschen Enttäuschung, Traurigkeit? Oder geben sie mir einen Impuls, in mich zu gehen, über meine Lebensplanung neu nachzudenken, was ich will und was mir wichtig ist, welche Prioritäten ich setzen muss, damit ich mich nicht verliere und vor mir und vor Gott bestehen kann? Dass Jesu Worte in diese Richtung zielen, auf den „Schatz im Himmel“ (V.21), dafür spricht seine liebevolle Zuwendung zu dem Menschen. Dann könnten sogar Enttäuschung und Traurigkeit, die Jesu Worte bei ihm auslösten, heilsam und hilfreich sein.

„Eines fehlt dir“, vielleicht treffen diese Worte Jesu heute auch auf uns zu. Ist es der Mut, sich für eine gute Sache mit ganzem Herzen einzusetzen? Oder ist es die nötige liebevolle Zuwendung zu meinem Mitmenschen, das Bemühen, meine Vorurteile zu erkennen, an mir zu arbeiten und mich selbst zu ändern?
Bei jenem Menschen war es der materielle Besitz, der ihm den Weg zum Leben verbaute, darum die Aufforderung Jesus: „Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach“ (V.21). Das klingt, als ob ich Jesus nur nachfolgen kann, wenn ich mich von jeglichem Besitz trenne und dies die Vorbedingung für die Nachfolge Jesu sei. Manchmal ja, wie wir am Beispiel jenes Menschen sehen. Jesus fordert es von ihm radikal ein. Einen anderen Menschen fordert er auf, sich von Geiz und Neid zu lösen, von Selbstsucht und Selbstzufriedenheit, vielleicht auch von Menschen.

IV.     Von jenem Menschen, der sich mit einer so ernsthaften Lebenseinstellung an Jesus wandte, erfahren wir nur, nachdem ihm Jesus sein „Lebensdefizit“ vor Augen hielt, dass er „unmutig“ darüber wurde und „traurig davon ging“, „denn er hatte viele Güter“ (V.22). Ist er gescheitert? Wir wissen es nicht. Werde ich scheitern? Ich hoffe es nicht, und ich hoffe für jenen Menschen und für die vielen in ähnlicher Lebenssituation – und auch wenn sie scheitern-, dass sie neu aufbrechen, „neu ins Leben gehen können“, wie es in einem Lied heißt (EG 432,3).

Liebe Gemeinde, als ich in der vorigen Woche mit meinen Schülerinnen und Schülern der 4.Klasse der Friedrich-Ebert-Grundschule über das Leben, was Leben für sie ganz persönlich bedeutet, ins Gespräch kam, sagte ein Kind: „Das Leben ist ein Schatz“, ein anderes meinte: „Es ist schwer, Leben zu beschreiben“. Ja, Leben ist ein Schatz, es hat eine Entsprechung zu dem „Schatz im Himmel“, von dem Jesus sprach. Es ist in der Tat schwer, diesen Schatz zu heben. „Wie schwer ist’s, ins Reich Gottes zu kommen“ (V.23f.), sagte Jesus zu seinen Jüngern, die seine radikale Haltung nicht verstehen konnten, sich darüber sogar „entsetzten“ (V.24) und „untereinander sprachen: Wer kann dann selig werden?“ (V.26). Man spürt in ihren Worten die Betroffenheit. Zeigt das Entsetzen der Jünger den Schreck des Menschen, der ernsthaft seinen Weg zu Gott sucht?

Auf die resignierte Frage der Jünger wendet sich Jesus ihnen zu, ähnlich wie vorher jenem Menschen, er sah sie an, nahm sie wahr und ermutigte sie mit den Worten: „Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott“ (V.27). Jesus verweist auf unsere einzige Lebenschance – sie ist in einem liebenden, barmherzigen Gott gegeben. Darum ist Jesu Ruf, ihm nachzufolgen, ein guter Ruf, der ins Leben, in die Lebendigkeit führt. Seine Einladung gilt auch uns, Dir und mir: „Komm und folge mir nach!“

Amen.


Lieder: „Herr Jesu Christ, dich zu uns wend“ (EG 155), „Laudate, omnes gentes“ (EG 186.6), „Ins Wasser fällt ein Stein“ (EG 648), „Bei dir, Jesu, will ich bleiben“ (EG 406,1+2), „Lass mich dein sein und bleiben“ (EG 157)

Autor der Predigt:
Heinz Janssen, ehem. Pfarrer an der Providenz-Kirche zu Heidelberg Altstadt/City

providenz@aol.com

nach oben


Predigt zum Monatsspruch
"Wenn Gott nicht das Haus baut..."
Predigt zum 13. Sonntag nach Trinitatis am 5. September 2004


Wenn Gott nicht das Haus baut,
so arbeiten umsonst, die daran bauen.
Wenn Gott nicht die Stadt behütet,
so wacht der Wächter umsonst.
Psalm 127,1

„So arbeiten umsonst ..., so wacht der Wächter umsonst ...“ Nein, ich will nicht, dass ich in diesem Monat umsonst arbeite, mich vergeblich abrackere und umsonst wachsam mit anderen Menschen und mir selbst bin.

„Wenn Gott nicht das Haus baut ... Wenn Gott nicht die Stadt behütet ...“ Ich höre aus diesen Worten: Gott will in meinem Planen, Bauen und Wohnen einbezogen sein. Ohne Gottes Segen alles vergebliche (Liebes-)Mühe. Welch eine Relativierung meiner Geschäftigkeit, meines Eifers, meiner Rastlosigkeit. „Seinen Freunden gibt er es im Schlaf“, so lese ich in der Mitte des Psalms. Da ist also noch etwas anderes als Mühe und Arbeit. Es wäre darum zu wenig, wenn wir rückblickend einander nur dies zu sagen hätten: „Müh’ und Arbeit war sein/ihr Leben ...“ Leben ist mehr. Ich sehne mich danach, mehr zu leben. Jeden Tag eine kreative Pause, ein Atemholen der Seele, die nötige Ruhe. Die Mitte des Psalms lässt sich auch so verstehen. Gott will nicht, dass ich mich überfordere, sondern gibt, gönnt mir den Schlaf.

„Wenn Gott nicht das Haus baut ... Wenn Gott nicht die Stadt behütet ...“ Haus und Stadt sind elementare Symbole für Geborgenheit und Schutz. Ich will in diesem Monat mein Haus/meine Wohnung und meine Stadt/mein Dorf bewusst genießen. Das Dach über dem Kopf, den Raum, in dem ich mich wohlfühle, in dem ich mit der Familie kommunizieren und Freundschaften pflegen, mich zurückziehen und ausruhen kann. Und das wie früher durch eine Stadtmauer geschützte Terrain. Ich erschrecke, wenn ich daran denke, wie viele Menschen keine Bleibe haben und keinen Wohnort, der ihnen Sicherheit gibt.

Wenn ich in diesem Monat in meiner Stadt/meinem Dorf unterwegs bin, will ich mir mehr Zeit lassen für den einen oder anderen mir bekannten Menschen, dem ich begegne. Mich an den Menschen freuen, mit denen mich gemeinsame Interessen verbinden, welche mir zugetan sind und mit mir neben all dem Schönen die Erfahrung der Verunsicherung teilen. Auf Menschen zugehen, die mir fremd, manchmal unangenehm sind, denen ich lieber aus dem Weg gehe. Baut so Gott das Haus? Und bewacht so Gott die Stadt/das Dorf?
Ich will in diesem Monat auf die Bausteine achten, mit denen Gott das Haus baut, auf den Mörtel des Zusammenhalts und auf Gottes Art, eine Stadt/ein Dorf zu behüten. Ein Lebenshaus, auf festen Grund gebaut, damit es nicht wie ein Kartenhaus zusammenfällt. Ein offenes Haus, in dem Menschen willkommen sind. Unter der Stadt soll kein menschenfeindliches Kanalsystem entstehen, welches einfühlsam gestaltete Beziehungen vergiftet und zerstört.

Wachsam will ich sein in diesem Monat und nicht umsonst wachen. Aber nicht alles und jedes muss kontrolliert werden. Es schaudert mich, wenn ich mir den gläsernen Menschen vorstelle. Horror pur. Meine Freiheit im persönlichen und gesellschaftlichen Bereich wäre einschränkt. Da lobe ich mir lieber die Selbstkontrolle, die selbstkritische Gesinnung, den Blick nach innen. Denn Eigenverantwortlichkeit ist gefragt. Sie beginnt in meinem Haus, und sie hat Auswirkungen auf die Gemeinschaft in Familie und Stadt/Dorf. Wachsam will ich dreißig Tage lang auf den Wegen dieses Monats gehen. Wachsam für das Bauen und Behüten Gottes. Ich will mich Tag für Tag in dem Vertrauen üben, dass Gott seinen Segen auf Haus und Stadt/Dorf legt, mich aufbaut und wie eine Stadtmauer vor allem, was sich feindlich gegen mich stellt, beschützt. Nichts wird umsonst sein, nichts vergeblich, wenn ich in Gottes Namen baue, mein Leben, meine Beziehungen gestalte und wach durch diesen Monat gehe. „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen“, tröstet Jesus.

„Wenn Gott nicht das Haus baut ... Wenn Gott nicht die Stadt behütet ...“
Vielleicht sind dies die passenden Worte für einen Menschen, der in diesem Monat in einer schwierigen Lebenssituation ist, vor einer schweren Entscheidung oder Prüfung steht, vor beruflicher Veränderung und einem Ortswechsel. Vielleicht für ein Brautpaar, das sich auf den gemeinsamen Lebensweg vorbereitet und vom Familienglück träumt. Dann will ich mich mit ihnen auf den Weg machen. Dreißig Tage mit seinem Segen. Wer geht noch mit?


Autor der Predigt:
Heinz Janssen, ehem. Pfarrer an der Providenz-Kirche in Heidelberg

nach oben


Nicht Unnahbarkeit, sondern unmittelbare Nähe

Nicht Apathie, sondern Sympathie - Ein mitleidender Gott, mitfühlend und ein glühendes Herz voller Liebe

Predigt über Hebräer 4,14-16 zum Sonntag Invocavit
am 29. Februar 2004 in der Providenz-Kirche zu Heidelberg

Predigttext (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984):

14 Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes,
der die Himmel durchschritten hat, so laßt uns festhalten an dem Bekenntnis.
15 Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem, wie wir, doch ohne Sünde
16 Darum laßt uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.


Liebe Gemeinde!

"Wir haben einen großen Hohenpriester, Jesus, den Sohn Gottes", hören wir in diesem kleinen Ausschnitt aus dem Hebräerbrief. Die Menschen damals in den jungen christlichen Gemeinden mussten offensichtlich wieder daran erinnert werden. Ist es heute in unseren Gemeinden anders? Haben wir es weniger nötig?

In den USA ist der Film „Passion“ jetzt in allen Kinos zu sehen, in wenigen Wochen wird er in unseren Kinos laufen. Sehr realistisch und drastisch zeigt der Film den (brutalen) Leidensweg und Tod Jesu. Umstritten ist, ob wir so an Jesus erinnert werden müssen. Film, Fernsehen und die Nachrichten übernehmen eine Information, welche sonst in der Tradition von Generation zu Generation geschah. Der Filmregisseur, ein überzeugter Katholik, will nicht nur die Kassen füllen, sondern auch aufrütteln. Spektakulär und umstritten gelingt es ihm.

Aufrütteln wollte auch der Verfasser oder die Verfasserin des Hebräerbriefes.

I.
Eindringlich wird die Gemeinde zum Festhalten an dem Bekenntnis zu Jesus aufgerufen. Dieser Aufruf bleibt nicht unbegründet stehen. Wir hören: „Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde“.

Die Adressaten des Hebräerbriefes, die Menschen der israelitisch-jüdischen Gemeinden, wussten um die Besonderheit der Stellung dieses Amtes: So hatte nur der Hohepriester Zugang zum Allerheiligsten im Inneren des Jerusalemer Tempels. Mehrere Vorhöfe des Tempels brachten dazu symbolisch seine Unnahbarkeit zum Ausdruck.

Kennzeichen des großen Hohenpriesters, den der Hebräerbrief den Gemeinden vor Augen stellte, ist aber nicht seine herausgehobene und unnahbare Stellung. Es geschieht eine Umkehrung. Neu ist seine unmittelbare Nähe zu den Menschen, sein „Mit-leiden-können“ – das „Mitleiden“ bezeichnet im eigentlichen Sinn das Wort „Sympathie“. Der leidende "Jesus ist versucht worden in allem wie wir, doch ohne Sünde".

Jemand der leiden musste, kann mitleiden, weiß was Leid heißt, versteht. Auf den mit uns leidenden Jesus und damit zugleich auf den mitleidenden Gott, will der Hebräerbrief die Aufmerksamkeit lenken. Es geht auch nicht allein um das Leid, es geht um die Gottesbeziehung überhaupt. "Der Himmel geht über allen auf, auf alle über, über allen auf...", heißt es in einem neueren Lied; sinnbildlich wird darin Gottes umfassende Zuwendung zum Menschen, zu seiner ganzen Schöpfung, besungen.

Von diesem Gott, dem uns Menschen und seiner Welt nahen Gott, hat Jesus gepredigt. Ihm zugewandt lebte er. Im Vertrauen auf ihn bestand er alle Anfechtungen, nahm alles Leid, zuletzt auch den Spott und das Sterben am Kreuz auf sich - für uns, damit wir in schweren Zeiten unseres Lebens, in leidvollen Erfahrungen, nicht verzagen.

II.
„Wir haben einen großen Hohenpriester, Jesus, den Sohn Gottes,
der die Himmel durchschritten hat“ - Jesus hat nicht nur die Erde, sondern auch die Himmel durchschritten. „Die Himmel“ - das ist ein Bild für Weite, für die Weite und Unendlichkeit des Kosmos, ein Bild für Gott, für Gottes unsichtbare Welt, in der Leid und Tod überwunden sind. „Durchschreiten“ konnte Jesus die himmlische Welt nur, weil Jesus auf Erden Gott wie kein anderer nahe war und Gott Jesus nicht im Tod gelassen, sondern – Geheimnis des Glaubens – aus dem Tod zum ewigen Leben auferweckt hat.

Christen können seither nicht von Gott reden, ohne zugleich auf Jesus hinzuweisen. Darum ist das wichtigste Symbol der christlichen Kirche das Kreuz - Zeichen des Leidens und zugleich der Hoffnung. Am Fuß des Kreuzes auf dem Altar die aufgeschlagene Bibel – Einladung, auf das Wort Gottes zu hören und es zu bewahren. In Jesus zeigt uns Gott sein uns mitfühlend zugewandtes Gesicht und sein voller Liebe glühendes Herz.

Wie sehnen wir uns doch nach Zuwendung und Liebe, nach Angenommen- und Verstandenwerden! Wie hat sich Jesus um die Menschen gesorgt! Wie lagen ihm die Kranken, die Trauernden, alle Notleidenden, am Herzen und nicht zuletzt jeder Mensch, der - wie jener Zöllner in der biblischen Geschichte - ferne stand und die Augen nicht zum Himmel aufheben wollte, der vor Gott nichts vorweisen konnte als seine Hilfsbedürftigkeit, sein Angewiesensein auf Barmherzigkeit und Gnade. Er hat sich mit den Menschen gefreut, mit ihnen gefeiert und mit ihnen diskutiert.

Sollten nicht auch wir festhalten an dem Bekenntnis zu Jesus oder uns wieder ganz neu zu ihm bekennen? In jedem Gottesdienst stimmen wir auf vielfältige Weise in dieses Bekenntnis ein: in die Jahrhunderte alten Bekenntnisse, das apostolische und nizänische Glaubensbekenntnis, in die Gebeten und Lieder, in der zu Gottes Ehre erklingenden Musik. In unserer Zeit ist unsere Teilnahme am Gottesdienst und am kirchlichen Leben Ausdruck, Bekenntnis unseres Glaubens.

III.
Es ist gut und hilfreich, dass es die alten christlichen Glaubensbekenntnisse gibt. Sie verbinden mich mit den Christen und Christinnen verschiedenster Sprachen und Herkunft auf der ganzen Welt. Sie geben mir zuweilen auch Anlass, mich daran zu stoßen, weil mir manche traditionelle Aussagen fremd sind oder meinen Widerspruch hervorrufen. Sie konfrontieren mich aber vor allem mit der Frage: Was ist dein Bekenntnis? – So ist es außer dem Einstimmen in das überlieferte Glaubensbekenntnis wichtig, zu unserem ganz persönlichen (Glaubens-) Bekenntnis zu finden. „Ich glaube; hilf meinem Unglauben“, schrie jener Vater, der sein krankes Kind zu Jesus brachte in der Hoffnung, dass Jesus es heilt (Markus 9,24).

Hören wir zwei andere Stimmen, die unserer Zeit näher sind:

„Manchmal schwanke ich zwischen einer selbstgewissen Zufriedenheit, dem Empfinden, in meinem Leben Gott eigentlich überhaupt nicht nötig zu haben, und der Befürchtung, von Gott verlassen zu sein. Ich bin stolz auf das, was ich kann, und zugleich unsicher, weil es noch vieles gibt, was ich nicht selber leisten kann“.

Ein jüdischer Jugendlicher, der (in Auschwitz) Schlimmes erlebte, bekannte: „Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint. Ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht spüre. Ich glaube an Gott, auch wenn ich ihn nicht sehe“.

Wie auch immer mein Bekenntnis aussehen mag, es wird in unserem Leben wechseln, der große Hohepriester wird auch meine leisesten Regungen, meinen noch so schwachen Glauben verstehen. Seine so menschliche Nähe, sein Mit-leiden-können mit meiner menschlichen Schwachheit und Unzulänglichkeit, machen mir Mut.

„Darum“ - so werden wir auch heute wie damals eingeladen - „laßt uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben“.

Amen.

Lesung: Matthäus 4,1-11

Lieder:
EG 409 Gott liebt diese Welt
EG 789.7 Bleib mit deiner Gnade bei uns
EG 665 (Regionalteil Baden, Elsass und Lothringen, Pfalz) Wir haben Gottes Spuren festgestellt
EG 667 Selig seid ihr
EG 170 Komm, Herr, segne uns

Autor der Predigt:
Heinz Janssen, ehem. Pfarrer an der Providenz-Kirche in Heidelberg

nach oben

Weitere Predigten finden Sie hier:

10. Sonntag nach
Trinitatis 2006

13. Sonntag nach Trinitatis 2004
Predigt zum Sonntag Invocavit 2004

 

 

 

 

 

 

 

 

Home   Aktuell   Gottesdienst   Konzerte   Gruppen   Geschichte   Gemeindebrief   Kindergarten  Kontakt   Impressum